Wenn jemand stirbt, trifft uns das tief. Das ist auch in Ordnung, wenn es in der Familie passiert. Doch in unserem Beruf müssen wir die Distanz zu unseren Bewohnern wahren und dürfen, wenn jemand stirbt, es nicht so nah an uns heranlassen. Natürlich sind wir auch nur Menschen, und wenn es uns nicht bewegen würde, wären wir kalt in unseren Herzen. Diese Distanz zu waren, ist aber nicht immer so leicht. Wir sagen immer: “So etwas wie einen Lieblingsbewohner, den gibt es nicht.” Ich glaube jedoch, insgeheim haben wir alle mindestens einen älteren Menschen, den wir wirklich lieb gewonnen haben. Eine Person, die wir doch näher an uns heranlassen, als alle anderen und zu ihr etwas Vertrautes entwickeln. Jemanden, der uns alles erzählt und bei dem auch wir das Gefühl haben, alles erzählen zu dürfen. Jedes Mal freut man sich ihn zu sehen und es macht den Arbeitstag gleich viel schöner, wenn wir nur diesen einen Menschen zum Lächeln bringen.
Plötzlich ist dieser besondere Mensch nicht mehr da
Mir ist es jetzt nach anderthalb Jahren passiert. Herr Z., mein Lieblingsbewohner ist verstorben. Er war ein so toller Mensch! Egal, wie schlecht mein Tag auch lief, Herr Z. schaffte es immer ein Lächeln auf meine Lippen zu zaubern. Dabei soll das ja eigentlich andersherum sein. Wir haben viel zusammen gelacht und auch geweint.
Als ich für den schulischen Teil meiner Pflegeausbildung die Jahresarbeit schreiben musste, erlaubte Herr Z. mir über sein Leben zu schreiben. In dieser Biografiearbeit kommt man sich sehr nah. Wenn ein Bewohner bereit dazu ist, erzählt er einem alles, was ihm Freude bereitet hat, aber eben auch, was ihn verletzt hat, was ihn bewegt oder zerrissen hat in seinem Leben.
Während dieser Jahresarbeit haben Herr Z. und ich uns unglaublich gut kennengelernt. Als Menschen, die beide für gewöhnlich nicht in der Öffentlichkeit weinen, passierte es uns, dass wir zusammensaßen, über seine Schicksalsschläge weinten und über das lachten, was er als glückliche Momente erlebt hatte. Ich kann gar nicht so genau beschreiben, was ihn für mich so besonders machte. Es ist dieses Gefühl, wenn man einen Menschen gerade kennergelernt hat, aber man könnte meinen, man kenne ihn schon ewig. So war es bei mir und ich glaube ihm ging es ganz genauso. Nur kann ich ihn leider nicht mehr fragen.
Was bleibt, ist die Erinnerung
Ich erinnere mich an eine lustige Szene im Bad als ich Herrn Z. bei der Körperpflege half. Er sagte, ich solle irgendetwas nicht so machen, sondern anders. Ich antwortete: “Ja, Vati.” Darauf entgegenete Herr Z.: “Vati – so hat mich meine Tochter auch immer genannt.” Und er erzählte, wenn er noch lange in seinem Arbeitszimmer saß und seine Tochter mit ihm spielen wollte, kam sie angetippelt, klopfte an die Tür und rief “Vati, komm und spiel endlich mit mir.” Ich hätte jedes andere Wort für Vater benutzen können, aber ich sagte “Vati”, obwohl ich zu meinem eigenen Vater immer Papa sage. Das ist mir als ein besonderer Moment in Erinnerung geblieben, als hätten wir ein gewisses Gespür füreinander gehabt.
Herr Z. fehlt mir so. Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit gehe hoffe ich im tiefsten Inneren, er wäre noch da. Doch so ist es nicht. Ich wünschte, er würde mir den Tag auf der Arbeit noch immer versüßen. Gott hat diesen guten Mann schon zu sich genommen, denn er scheint ihn dringender zu brauchen, als wir hier unten. Auch wenn Herr Z. mir fehlt, ich hoffe einfach, dass es ihm gut geht, wo immer er jetzt auch sein mag. Ich werde bestimmt noch einen Weile brauchen, bis ich über seinen Tod hinweg bin. Es war schön, jemanden wie ihn bei der Arbeit zu haben.
Nähe und Distanz in der Altenpflege
Wie geht man damit um, wenn plötzlich dieser eine besondere Mensch einem von heute auf morgen nicht mehr freudig entgegenblicket, wenn man zur Arbeit kommt? Obwohl wir täglich mit dem Älterwerden und mit Gebrechlichkeit zutun haben, überrollt uns jener eine Tag, an dem dieser Mensch verstirbt. Wir sind traurig. Berührt es uns mehr, als es sollte? Kann man lernen oder üben, diese Trauer zu überwinden? Wir versuchen uns vorzustellen, dass er jetzt an einem besseren Ort ist, an dem es ihm gut geht.
Nähe und Distanz – das ist ein so wichtiges Thema in der Altenpflege. Wir müssen die Bewohner so nah an uns heran lassen, dass wir Vertrauen aufbauen und sie sich in unserer Gegenwart wohlfühlen. Aber wir dürfen sie nicht so nah an uns heran lassen, dass es uns jedes mal, wenn einer von ihnen verstirbt das Herz zerreißt. Denkt immer daran, es könnte mehr weh tun, als ihr verkraften könnt und auf Dauer wäre das für euer Leben und eure Seele nicht gut.
Die Begegnung mit Herrn Z. und die Lücke, die er für mich hinterlässt, ist mir auch eine Lehre. Ich frage mich ernsthaft, ob ich es nicht lieber in Zukunft vermeide, einen Menschen mit dem ich arbeite so nah an mich heran zu lassen. Aber kann man sich davor schützen, einen Menschen ins Herz zu schließen? Ist es etwas, wovor wir uns schützen sollten? Oder lässt sich ein anderer Umgang mit Trauer finden? Falls es mir doch noch einmal passieren sollte, kann ich nur eins sagen: Ich bin auch nur ein Mensch und Menschen haben Gefühle. Ich schätze jede Minute, die ich diesen sympatischen älteren Herren gekannt habe.
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Liebe Eva, auch mich hat dein Text tief berührt; diese Berührungen sind sehr wertvoll und besonders in unserem Beruf. Ich drücke dich. M.
Liebe Eva, Deine Zeilen haben mich sehr berührt. Ich kann Dich so gut verstehen und auch den Zwiespalt, der dich so beschäftigt. Ich wünsche Dir Kraft und Gottes Segen in der Trauer um Deinen besonderen Bewohner und auch dafür, die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden. Es gibt immer Menschen, die uns in besonderer Weise berühren und das ist wertvoll. Ich wünsche Dir auch Leichtigkeit und Freude und besondere Momente mit den Bewohnern für die Du weiter verantwortlich bist.
Danke das ist sehr lieb. Ich freue mich das der Beitrag dich so berührt hat